Salvador Dali – Die Versuchung des hl. Antonius

Salvador Dali
Die Versuchung des hl. Antonius hl. Antonius, 1946.
Öl auf Leinwand,
90 x 120 cm. Brüssel, Musees
Royaux des Beaux-Arts.Dali,

Die Legende vom hl. Antonius in der Wüste, der von bösen Versuchungen gepeinigt wird, ihnen aber heroisch widersteht, hat eine Bildtradition, die bis ins 15. Jh. zurückreicht. Anders als für die religiösen Maler der anbrechenden Neuzeit, besaß für den Surrealisten Dali die Welt der Triebe ebenso faktische Bedeutung wie die von Verstand kontrollierte Alltagswirklichkeit – oder auch die Sphäre des Glaubens. Angeregt durch die Schriften Freuds und von der Lust am Experiment, motiviert von der Suche nach anderen, irrationalen Wahrheiten, versuchten die Surrealisten in die Symbolwelt des Unbewussten, der Triebe, des Rauschhaft-Dionysischen vorzudringen. Aus der ungehemmten Assoziationskraft Dalis brachen immer neue, phantastischere und monströsere Bildwelten hervor.

Dali gestaltete sie mit einer eiskalt beobachtenden, fotografisch genauen Technik, will sie so anscheinend verifizieren. Bevor er sich Anfang der fünfziger Jahre in Europa persönlich wie künstlerisch (und unter dem mystifizierten Einfluß seiner abgöttisch geliebten Frau Gala) dem Religiösen zuwandte, malte er 1946, noch in New York, dieses Bild der sexuellen Versuchung. Einer Fata Morgana gleich bewegt sich die Karawane mit den Elefanten und dem weißen Pferd aus der endlosen Wüste auf den Einsiedler zu. Abwehrend streckt Antonius ihnen sein Kruzifix entgegen, worauf sich das anführende weiße Roß, wie von einer tatsächlichen Kraft veranlaßt, aufbäumt.

Die Elefanten tragen ihm die unzweideutigen Zeichen der Versuchung zu: eine herausfordernde Frau mit nackten Brüsten, einen spitz aufragenden Obelisken – Symbol für den Phallus -, einen zweiten nackten Frauenoberkörper im offenen Portal einer kleinen Renaissancekirche. Die weltlichen Lüste, vor denen sich der Eremit in die Wüste zurückgezogen hatte, um seine Buße abzuleisten, bedrängen ihn hier visionär, dafür um so stärker. Scheinbar stellt Dali hier die Kraft des Glaubens noch unter das Diktat der sexuellen Triebe; doch sein Bild zieht in Wirklichkeit nur die Analogie zwischen Religion und Sexualität, offeriert keine Lösung.

Otto Dix – Meine Eltern

Otto Dix, Meine Eltern, 1924, Öl auf Leinwand, 118 x 130 cm,
Hannover, Sprengel Museum (www.sprengel-museum.de/)
Der in Berlin und Dresden tätige Otto Dix, der zu den besten Porträtisten seiner Epoche gehörte, malte dieses Bild „Meine Eltern“ 1921 bzw.1924 in zwei Fassungen. Aus Zuneigung und Mitgefühl beobachtet er das auf einem alten Sofa platzierte Ehepaar. Dem verspielten und modischen Dekor der Rückbank und der Tapete stehen die überaus naturalistische Ausführung und Detailgetreue der einfachen Kleidung und der klobigen, von der Arbeit gezeichneten Hände und der Gesichtszüge gegenüber. Besonders in diesem Werk ist der Verzicht auf jede expressive Geste, jede Idealisierung und Erhöhung deutlich.

Der Vater von Otto Dix war einfacher Fabrikarbeiter, insofern schildert der Künstler in seinem Doppelbildnis nicht allein die Eltern, sondern auch die Weisheit, Kraft und Geschundenheit des Proletariats.
Dix malte seine Modelle, wie er sie sah, und setzte sich dabei über alle ästhetischen Regeln hinweg. Er näherte sich seinen Sujets mit einem sezierenden Blick. Mit unbestechlichem Auge erfasste er die ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten und stellte sie mit einer übergroßen Deutlichkeit heraus. Die „Neue Sachlichkeit wurde bei ihm im Wortsinn zu einem „Magischen Realismus“.

Quellenangabe:
Bild und Bildbetrachtung sind ein Auszug aus dem Werk:
MODERNE MALEREI von Gottlieb Leinz.
Die digitale Neufassung ist 2018 bei Serges Medien, Solingen, erschienen.

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50 

Die Maler des „Blauen Reiters“

Die Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“ wurde 1911 in München gegründet. Der Name ist dem hier gezeigten Reiterbildnis entlehnt, das Wassily Kandinsky 1903 gemalt hat.

Vorreiter dieser neuen Gruppierung war zunächst die 1909 gegründete „Neue Künstlervereinigung München“. Aus ihr ging in der Folge der „Blaue Reiter“ hervor. Im Gegensatz zu der Gruppe „Brücke“ in Dresden und Berlin fühlte sich die Münchner Künstlerschaft als Sammelbecken und Vorreiter der europäischen Kultur mit enger internationaler Verflechtung.

Die führende Rolle übernahmen die in München lebenden Künstler der russischen Kolonie mit Kandinsky, Jawlensky, Marianne von Werefkin und Wladimir Bechtejeff. Mitglieder der „Neuen Künstlervereinigung“ waren ferner Gabriele Münter, Rudolf Erbslöh, Alfred Kubin und seit 1911 Franz Marc.

Auch der Generaldirektor der Bayerischen Kunstsammlungen, Hugo von Tschudi, unterstützte diese fortschrittlichen Kräfte der Gruppe. Ihm widmeten Kandinsky und Marc später den Almanach „Der Blaue Reiter“. Aus dieser Künstlergruppe ging 1911 der „Blaue Reiter“ hervor, nachdem persönliche und künstlerische Differenzen um Kandinskys Weg in die Abstraktion eine Spaltung ergeben hatten. Um Kandinsky, Münter und Marc sammelten sich die fortschrittlichen Künstler. Jawlensky und andere sympathisierten offen mit Kandinsky, wollten jedoch keinen endgültigen Bruch mit den alten Freunden. Die Gründung des „Blauen Reiters“ erfolgte am 18.12.1911 in der Galerie Thannhauser. Hier wurde die erste Gruppenausstellung eröffnet, zu der auch August Macke, Heinrich Campendonk, Robert Delaunay aus Paris, Arnold Schönberg u.a. eingeladen worden waren. Die Bilder gingen anschließend als Wanderausstellung nach Berlin, wo Herwarth Walden in seiner „Sturm“-Galerie auch Werke von Paul Klee, Jawlensky und Feininger aufnahm. 1912 veranstalteten Kandinsky und Marc eine weitere Gruppenausstellung mit graphischen Arbeiten.

Das geistige Band, das alle diese befreundeten, aber doch unterschiedlich ausgebildeten Künstler verband, waren Wilhelm Worringers Buch „Abstraktion und Einfühlung“ von 1908, Kandinskys 1910 verfasste Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ und besonders der 1911 zusammengestellte und 1912 veröffentlichte Almanach „Der Blaue Reiter“. Alle diese Schriften gehören zu den einflussreichsten Zeugnissen der beginnenden modernen Kunst, da hier die Ursachen, Quellen und Vorbilder des modernen Bildes, seine Entwicklung, geistige Botschaft und ethisch-moralische Kraft überdeutlich formuliert wurden. Im reich illustrierten Almanach finden sich als Inspirationsquellen Negerplastiken, Beispiele der Volkskunst, archaische Skulptur, japanische Graphik oder gotische Sakralkunst. Die Durchdringung der Materie und aller sichtbaren Eindrücke durch geistige, unter der Oberfläche liegende abstrahierte Werte, die Synthese aus Umwelt und innerer Anteilnahme (Seelenvibration), die subtile musikalische Formgebung in Linie und Farbe, die Einbettung des Gegenstandes in einen kosmischen Zusammenhang wurden durch den „Blauen Reiter“ zu Grundlagen der gesamten modernen Kunst. Es gab in München keinen Gruppenzwang, sondern allein den Wunsch, das neue Weltbild zu verkünden und hierfür Ausstellungen zu organisieren. Marc empfand die Kunst als ein „geistiges Gut“, und nach Kandinsky entstand jedes Werk aus einer „inneren Notwendigkeit“.

Kandinsky begann 1908 mit Gabriele Münter im bayerischen Murnau zu arbeiten, wo er die Schönheit der Volkskunst entdeckt hatte. In breiten Flecken baut Kandinsky nun Landschaft und Hausbauten auf. Er setzt die Architektur mit ihren festen Kuben gegen die flackernden Farb- und Lichtflecken der Bäume und Wege. Der vollklingende Gesamteindruck des Bildes geht von den kräftigen und reinen Farbflächen aus. Die glasfensterhafte Dichte des Kolorits stimmt mit Kandinskys Wunsch überein: „Ein Bild muss klingen“ und von einem „inneren Glühen durchtränkt sein“. Gerade die Malerei sei imstande, „märchenhafte Kraft und Pracht hervorzubringen“, wenn die Farben der Natur eingeschränkt und durchaus übertrieben dargestellt würden.

Aus dieser Einstellung gegenüber der Realität zog Kandinsky um 1910 die Konsequenz, indem er kein Abbild der Natur mehr suchte und schrittweise den Gegenstand aus dem Bild verbannte. Die Entdeckung des von „innerem Glühen durchtränkten Bildes“ machte Kandinsky keineswegs unvorbereitet und zufällig. Die dichte Reihe der Arbeiten nach 1910, die er „Impressionen“ oder „Improvisationen“ nannte, verdeutlicht, dass die Gegenstände nicht völlig verschwanden, sondern als zeichenhafte Chiffren und Erinnerungen präsent und lesbar blieben. Erst im Jahre 1914 hat sich dieser Prozess einer völligen Loslösung vom Gegenstand voll ausgeprägt, so dass auch von den Bildtiteln keine gegenständlichen Assoziationen mehr möglich sind.
Bis zum Ausbruch des Krieges und dem Ende der Zusammenarbeit im „Blauen Reiter“ kombinierte Kandinsky jedoch die Eindrücke der „inneren Natur“ mit den Erlebnissen der sichtbaren Welt. Knäuelartige Verdichtungen aus Linien und farbigen Rinnsalen überziehen streumusterhaft die Bildräume. Besonders die „Malerei mit rotem Fleck“ kennzeichnet diese im Bild sich abwickelnde Dramatik wogender Farb- und Formverschiebungen und Durchbrüche.

In der Mitte ist unten ein Schiff zu erkennen, darüber steigen gewaltige Hügelketten wellenförmig auf. Der Betrachter muss nun aber lernen, das Bild als Darstellung einer Stimmung und eines Farbklanges zu erleben und nicht mehr als Wiedergabe von Gegenständen. „Der Sinn ist nicht mehr der Gegenstand, sondern der innere Klang dieser Form“, so Kandinsky. Dies ist die Botschaft Kandinskys; sie bestimmt seine Sonderstellung als Pionier der gegenstandslosen autonomen Malerei. Schülerin und bis 1915 Lebensgefährtin von Kandinsky in München war Gabriele Münter. Kandinskys wache Intelligenz und seinen konsequenten Weg zur Abstraktion bewunderte sie grenzenlos. „Er (Kandinsky) hat mein Talent geliebt, verstanden, geschützt und gefördert“, bekennt sie in ihren Erinnerungen, während Kandinsky Münters enorme Gestaltungskraft, Sensibilität und Beharrlichkeit rühmte.

Gabriele Münter ging nicht den Weg der Ungegenständlichkeit und der „heroischen“ Komposition, sondern beseelte gleichsam mit dem vollen tiefen Klang ihres strahlenden Kolorits die Stille und erlebte Wirklichkeit der Dinge. Diese Weltsicht schlichten, doch intensiven Empfindens verbindet sie mit Paula Modersohn-Becker. Auch Gabriele Münter bewunderte wie Kandinsky die einfache, aber kräftige Malweise der bayerischen Hinterglasmalerei, in deren Technik auch sie malte.

In großer Konzentration formte sie ihre Porträts wie die „Sinnende“ Die an den linken Vordergrund gerückte Figur mit den traumhaft blickenden Augen und den blassen Gesichtszügen wird von Dingen des Alltags wie Tischlampe, Äpfel und Blumenvase umgeben. Sie verwandeln sich jedoch unmerklich zu Sinnbildern für Harmonie und Melancholie. Die blauen Blüten über dem Kopf erinnern an die „Blaue Blume“ der deutschen Romantik als Zeichen für Inspiration und Phantasie.

Als Franz Marc im Jahre 1911 die Bilder seines Freundes Kandinsky sah, empfand er „im ersten Moment die große Wonne seiner starken, reinen, feurigen Farben, und dann beginnt das Gehirn zu arbeiten; man kommt nicht los von diesen Bildern und man fühlt, dass einem der Kopf zerbricht, wenn man sie ganz auskosten will.“ Für Marcs künstlerische Entwicklung seit 1911 wurde die Nähe zu Kandinsky ebenso wichtig wie die Bekanntschaft mit August Macke in Bonn. Gemeinsames Ziel war der Ausdruckswert und die Anwendung reiner Farben. Auf der Suche nach dem Farbklang im Bild reiste Marc 1912 mit Macke nach Paris zu Robert Delaunay, dem Wiederentdecker des Farblichts.

Die Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“
Wassily Kandinsky, 1866-1944
Malerei mit rotem Fleck, 1914
Öl auf Leinwand, 130 x 130 cm
Paris, Musée National
d’Art Moderne, Centre Pompidou https://www.centrepompidou.fr/
Gabriele Münter, 1877-1962,
Sinnende, 1917
Öl auf Leinwand, 66 x 99,5 cm
München, Städtische Galerie im Lenbachhaus (www.lehnbachhaus.de
Franz Marc, 1880-1916
Die großen blauen Pferde, 1911
Öl auf Leinwand, 105 x 181 cm
Minneapolis, Walker Art Center (www.walkerart.org/)
August Macke, 1887-1914
Seiltänzer, 1914
Öl auf Leinwand, 82 x 60 cm
Bonn, Städtische Kunstsammlungen (www.kunstmuseum-bonn.de)
Franz Marc, 1880-1916
Tirol, 1913-14
Öl auf Leinwand, 136 x 144 cm
München, Staatsgalerie moderner Kunst (www.pinakothek.de/)
Heinrich Campendonk, 1889-1957
Stilleben mit zwei Köpfen, um 1920
Öl auf Leinwand, 82 x 71,5 cm
Bonn, Städtische Kunstsammlungen (www.kunstmuseum-bonn.de)

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50 

OTTO DIX – Gedenken an den 50. Todestag

Otto Dix wurde am 02.12.1891 in Untermhaus bei Gera geboren. Er verstarb am 25.07.1969 in Singen (Hohentwiel).

Kurzbiografie:
Otto Dix war ein deutscher Maler und Grafiker, der sich zu Beginn der zwanziger Jahre nach anfänglichen expressionistischen und dadaistischen Experimenten der Neuen Sachlichkeit zuwandte. Neben seinem Malerkollegen Georg Grosz war er ihr führender Vertreter in dieser Zeit, bevor er sich nach einer Phase der Landschaftsmalerei in seinem Spätwerk wieder dem Expressionismus näherte.
Seine Hingabe zu einer oftmals proletarischen Kunst wurzelte schon in seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie. Nach vierjähriger Lehrzeit bei einem Dekorationsmaler besuchte er 1910 bis 1914 die Kunstgewerbeschule in Dresden. Sein Lehrer war u.a. der Bildhauer Richard Guhr.

Nachimpressionistische und Expressionistische Stilelemente bestimmten seine künstlerischen Anfänge, die vom 1. Weltkrieg unterbrochen wurden, den Dix als Maschinengewehrschütze erlebte. Er wurde mehrfach verwundet wurde. Aus diesen Erlebnissen heraus entstand das fünfzigblättrige Radierwerk Der Krieg (1923-24).

Nach Kriegsende setze Dix zunächst seine Ausbildung in Dresden fort. Er wurde Meisterschüler Max Feldbauers und Otto Gussmanns.
1919 war er Mitbegründer der Dresdner Sezession, ging 1912 nach Düsseldorf, wo er Schüler Heinrich Nauens wurde und sich der fortschrittlichen Gruppe „Junges Rheinland“ anschloss, der u.a. auch Max Ernst und O. Pankok angehörten. Der psychische Schock der Kriegskatastrophe, die sich anschließende Krise und Verzweifelungsstimmung wurden für DIX zur Stimulanz für seine anklagende Botschaft als Maler und Grafiker.

Außer den Gestaltungsversuchen des Kriegsinfernos finden sich im Werk Otto Dix´ sozialkritische Schärfe und schonungslose Offenheit. Dix realisierte seine erschütternden Themen mit technischer Perfektion, er beherrschte dabei die altmeisterliche Lasurmalerei ebenso wie die expressionistisch-flächige Technik und die äußerst präzise Darstellungsweise mit spitzer Feder.

Aus dem Jahre 1920 ist von ihm der denkwürdige Ausspruch überliefert (Zitat):
„Ich kumm uff keinen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich. Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt.“

Heute ist unumstritten, das Dix zu den besten und bedeutendsten Porträtisten gehörte, den die Epoche der „Neuen Sachlichkeit“ hervorbrachte.

Otto Dix, Meine Eltern, 1924, Öl auf Leinwand, 118 x 130 cm, Hannover, Sprengel Museum (www.sprengel-museum.de/)

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50 

Marc Chagall

Chagall wäre 2017 somit 130 Jahre alt geworden. Er gilt zu Recht als einer der bedeutendsten Maler des Jahrhunderts. Grund genug, dem Leben und Schaffen dieses großartigen französischen Künstlers, polnisch-jüdischer Herkunft, der gern auch der „Maler-Poet“ genannt wird, diesen Beitrag zu widmen.

Chagall begann archaisierend, bevor ihn Fauvismus und Kubismus beeinflussten; erst danach kristallisierte sich sein ganz eigener Stil heraus, der u. a. für den kommenden Surrealismus wichtig wurde. 

Gekennzeichnet ist Chagalls Gestaltungsweise durch die stark glühende Farbigkeit einerseits sowie durch eine phantastische Wirklichkeit andererseits. Das Irreale verkörpern Menschen und Häuser, die auf dem Kopf stehen, oder Tiere und Figuren, die frei durch den Raum zu schweben scheinen. Chagalls Oeuvre lebt von Legenden, russisch-bäuerlichen Mythen und chassidischer Religiosität. Er ist einer der bedeutendsten Repräsentanten der modernen Malerei. 

Wie viele jüdische Familien im Russland des 19. Jh. lebte auch seine Familie in kargen Verhältnissen. Chagall studierte seit 1907 in Petersburg (heute Leningrad) bei Leon Backst, der ihn mit der Malerei Paul Gauguins, Vincent van Goghs und Paul Cezannes bekannt machte. Er bestärkte ihn auch in seinen auf der Ausdruckskraft der Farbe aufgebauten Kompositionen, ohne ihm seine persönliche Vorliebe für die ornamentale Linie aufzudrängen. Während seines Aufenthalts in Witebsk im Sommer 1908 schuf er sein erstes Hauptwerk, Der Tote (Privatsammlung), das eine Verwandtschaft zur Malerei Paul Gauguins offenbart. Verkantete Formen und symbolhafte Farben drücken das Schreckliche des dargestellten Ereignisses aus. In seinen anderen Werken aus dieser Zeit beschäftigte er sich mit dem Leben der Landbevölkerung; 1909 stand seine Freundin Thea Brachmann für ihn Modell zu einer Serie von Akt- und Paarbildern, z.B. Der rote Akt. Im Herbst 1909 lernte er durch Thea Brachmann Bella Rosenfeld kennen, die seine langjährige Lebensgefährtin wurde. In diesem Jahr malte er ihr erstes Porträt: Meine Blaut mit schwarzen Handschuhen (Basel, Kunstmuseum).

 

1910 erhielt er ein kleines Stipendium, das es ihm ermöglichte, nach Paris zu reisen, wo ihn der Kubismus und der Orphismus begeisterten und auch konkret künstlerisch anregten. Ende 1911 zog er in die Künstlerbehausung La Ruche (Bienenstock). Er schuf dort sein Bild Meiner Braut gewidmet (Bern, Kunstmuseum), das eine starke erotische Symbolik aufweist. Bald machte er die Bekanntschaft der Schriftsteller Max Jacob, Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars. Seine Bilder von 1911, z.B. Russland, den Eseln und den anderen (Paris, Musee National d’Art Moderne) und Ich und das Dorf (New York, Museum of Modern Art), bleiben den Themen aus Witebsk treu. Schwerelos schweben phantastische Gestalten durch das Bild. Chagall hob die perspektivische Räumlichkeit und die Trennung von Grund und Figur auf und verknüpfte Formen und Gegenstände in einem stark bewegten Flächenmuster, wobei ihn in der Bewegung Vincent van Gogh und in der Organisation der Fläche der Kubismus beeinflusste.

In der farblichen Pracht und Phantasie von Ich und das Dorf oder von dem Selbstbildnis mit sieben Fingern (1911, Amsterdam, Stedelijk Museum) ist die Nähe zur Kunst Robert Delaunays zu erkennen.

Durch Apollinaire kam Chagall 1914 in Kontakt mit Herwarth Waiden, der in der Berliner Galerie Der Sturm seine erste Ausstellung mit 40 Gemälden und 120 Zeichnungen organisierte; die Katalogleitung schrieb Apollinaire. Von dort kehrte er nach Russland zurück, wo er die Kriegsjahre verbrachte und wo eine Serie von Bildnissen alter Juden entstand. 1915 heiratete er seine Braut Bella und konnte den Ersten Weltkrieg, während er in einer Schreibstube beschäftigt war, überstehen. Ein Hauptthema seiner Arbeit wurde die Schilderung seiner Liebe zu Bella: Der Spaziergang (1917, St. Petersburg, Russisches Museum).

Auch weiterhin beschäftigte er sich mit dem religiösen Leben seines Volkes, z.B. Purim (1917, New York, Sammlung Louis Stern). Chagall sympathisierte mit den Ideen der Oktoberrevolution, und er wurde 1918 Kommissar für bildende Kunst im Gouvernement Witebsk. Er gründete Museen und baute eine Akademie auf; als Lehrer berief er u. a. Ivan Puni sowie Kasimir Malewitsch und ab 1919 El Lissitzky. Mit großer Energie arbeitete er an seiner Vorstellung, die Kunst im Leben des Volkes zu verankern. Ende 1919 organisierte er eine Ausstellung mit eigenen Arbeiten und Werken Malewitschs, El Lissitzkys und Wassily Kandinskys. 1920 jedoch legte er sein Amt nieder, da die Suprematisten (-> Suprematismus] die Akademie immer mehr nach ihren künstlerischen Vorstellungen ausrichten wollten, und übersiedelte nach Moskau. In dieser Zeit zeigen seine Bilder eine stärkere Geometrisierung, z.B. die Kubistische Landschaft (1918, Bern, Sammlung Ida Meyer-Chagall). Dabei schöpfte er noch aus seiner Begegnung mit dem Kubismus in Paris und ließ sich auch von den Suprematisten beeinflussen. Er arbeitete mit dem »Moskauer Jüdischen Theater« zusammen, für das er nicht nur Bühnenbilder und Kostüme, sondern auch große Wandmalereien und einen Bühnenvorhang schuf. 

Da er aber auf die Dauer seine künstlerischen Vorstellungen in der Sowjetunion nicht verwirklichen konnte, reiste er im Sommer 1922 nach Berlin und später nach Paris. Ambroise Vollard beauftragte Chagall 1924 mit der Illustration von »Die Toten Seelen« von Nicolai Gogol und der »Fabeln« von La Fontaine (1928 – 31), außerdem schuf er noch 19 Gouachen für ein Zirkusbuch. Mit Bella entdeckte er die französische Landschaft auf langen Reisen in die Bretagne, Auvergne und nach Savoyen. Außer Landschaften ohne allegorische Elemente schuf er Bilder in traditioneller Thematik mit einem gelockerten Bildaufbau und einer offeneren Form. Eine heitere und intime Zärtlichkeit erscheint in seinen Bildern, z.B. Die Liebenden auf dem Pferd (1931, Amsterdam, Stedelijk Museum). 1930 bekam er von Vollard den Auftrag, die Bibel zu illustrieren, wozu er eine Reise nach Ägypten, Syrien und Palästina unternahm. Den zunehmenden Antisemitismus und die faschistische Bedrohung Europas versuchte er in einer Serie von Gemälden zu verarbeiten, die ihren Höhepunkt mit dem Bild Weiße Kreuzigung (1938, Chicago, Art Institute) fand. Außerdem schuf er Bilder wie Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer (1930-39, New York, Museum of Modern Art), oder das hier gezeigte Bild: Sommernachtstraum, in denen er Elemente aus Kindheitserinnerungen in den Bereich des Phantastisch-Traumhaften überhöhte.

Nachdem die direkte Bedrohung durch den Nationalsozialismus immer stärker geworden war, ging er 1941 mit all seinen Werken nach Amerika. Dort stellte er wieder zunehmend eine innere Verbindung mit seiner russischen Heimat her, was sich in Bildern wie „Das Grüne Auge“ (1944, Sammlung Ida Meyer-Chagall) ausdrückte. 1944 starb seine Frau Bella. 1945 schuf er die Entwürfe zu Strawinskys Ballett »Der Feuervogel« und entwickelte dabei die Grundlage zu einer auf die raumschaffende Kraft der Farbe gegründeten Bildform, bei der alles Abgebildete aus der Farbe gestaltet wird. Zwei große Ausstellungen festigten seinen Ruf: 1946 im Museum of Modern Art in New York und 1947 im Musee National d’Art Moderne in Paris. 

Chagall übersiedelte 1949 endgültig nach Vence in Südfrankreich. Bereits 1948 erhielt er für seine grafischen Arbeiten den ersten Preis der Biennale in Venedig, was die Zahl seiner Ausstellungen sprunghaft steigerte. Seit 1950 erschienen in seinen Bildern große, leuchtende Flächen, die Farbe gewann vollkommene Selbständigkeit und war an keinen Umriss mehr gebunden, wie etwa in Die roten Dächer (1953-54, im Nachlass des Künstlers) und Die Liebenden von Vence (1957, Saarbrücken, Sammlung Schröder). 1952 heiratete er Vava Brosky und unternahm mit ihr zwei Griechenlandreisen; 1954 schuf er aus diesem Eindruck die Gouachen zu »Daphnis und Chloe«. Chagall wandte sich nun immer mehr kolossalen, architekturgebundenen Arbeiten zu, u.a. für Glasfenster, Reliefs und Keramiken für das Baptisterium der Kirche auf dem Plateau d’Assy (1957), Glasfenster für die Kathedrale von Metz (1958-68), Wandgemälde für das Frankfurter Theater (1959), Glasfenster für die Synagoge der Hadassah-Klinik in Ein-Karem bei Jerusalem (1962), Deckengemälde für die Pariser Oper (1964), Wandgemälde für die Metropolitan Opera in New York(1966), Glasfenster für das Fraumünster in Zürich (1969-70), Glasfenster für die Kathedrale von Reims (1972) und schließlich Mosaiken, Wandteppiche, Gemälde für die Schenkung Message Biblique in Nizza (1969- 73).

Chagall brachte vor allem eine »literarische« Phantasie in die Kunst der Ecole de Paris, ein erzählfreudiges Element, das als Quelle die russisch-jüdische Heimat nicht verleugnete. So können vor allem Chagalls Bibellithografien als Meisterwerke der Buchillustration und als dichterische Leistung gelten.

Chagall fand in seiner Malerei zu einem eigenwilligen Symbolismus, der von Erinnerungen an seine Jugend in Russland getragen war. Von den Kubisten, deren Werke ihn eine Zeitlang inspiriert hatten, wandte er sich schließlich wieder ab: Ihre Bildsprache schien ihm auf die Dauer nicht geeignet, seine Intentionnen zu verwirklichen. Er grenzte sich auch von den Surrealisten ab, in deren Malerei für ihn literarische Aspekte eine zu große Rolle spielten.

 

 

 

Marc Chagall  (sein originärer russischer Name war: Мойше Хацкелевич Шагалов  – zu Deutsch: Moische Chazkelewitsch Schagalow) ist am 6. Juli 1887 in Liosno bei Witebsk, im damaligen Russischen Kaiserreich (heute Weißrussland) geboren. Verstorben ist  Chagall am 28. März 1985 im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence wo er auch seine letzte Ruhestätte fand.
Marc Chagall, Der Spaziergang, 1917.
Öl auf Leinwand, 170 x 163,5 cm.
Leningrad, Eremitage.
Marc Chagall, Sommernachtstraum, 1939
Öl auf Leinwand, 117 x 90 cm
Grenoble, Musée de Peinture et de Sculpture
Marc Chagall, La Baou de Saint-Jeannet, 1969
Öl auf Leinwand, 112 x 11 cm
Frankreich, Privatsammlung