Giotto di Bondone, Der Judaskuss, um 1304–1306.
Detail eines Freskos, 200 x 185 cm.
Padua, Arena-Kapelle

Gegenüber einer zart und zerbrechlich wirkenden Malerei der Gotik setzt sich Giottos Kunst als monumental und hart, statuarisch, schwer und derb ab. Sie wirkt wie aus Bausteinen „konstruiert“, wobei die geringste Abänderung als störender Eingriff empfunden würde.

Giottos Stilauffassung ist jedoch keineswegs statisch, im Ausdruck leidenschaftslos und auf Einzelfiguren konzentriert, sondern überaus dramatisch, sogar dynamisch, wie die Massenszene in diesem Fresko Judaskuss verdeutlicht. Dieses Bild ist eines der seltenen Beispiele seines Werks, in denen keine Architektur- oder Landschaftskulisse als ortsbestimmendes Element hinzugezogen wurde. Der Vorgang wird allein durch die Haltung der Personen und den Gebrauch ihrer Geräte veranschaulicht. Es handelt sich um ein Nachtstück mit tiefblauem, z.T. abgeblättertem Himmel. Von hinten und von rechts, in zwei dichtgedrängten Gruppen umzingeln mit Stangen und Fackeln bewaffnete Häscherrudel das zentrale Paar mit Christus und Judas. Im Hintergrund bläst jemand das Signalhorn, vorne rechts weist mit ausgestrecktem Arm ein bärtiger Priester auf Christus, der soeben durch die demonstrativ ausholende Umarmung und den Kuss des verräterischen Jüngers inmitten der Gruppe identifiziert wird. Eine blau gekleidete, breitbeinig stehende Rückenfigur hindert einen durch den Bildrand überschnittenen Apostel an der Flucht, während vor ihm Petrus mit einem langen Messer das Ohr des Malchus abtrennt.

Das dramatische Ereignis konzentriert sich ganz auf das eingekreiste zentrale Figurenpaar, das auch farblich herausgehoben ist. Die verschiedenen Richtungen der Stangen lassen auf die Unruhe der Menge schließen, die grandiose Rückenfigur, eine der kühnsten Bilderfindungen Giottos, kontrastiert mit der Vorderansicht des Priesters, der durch Blick und Gestus den Befehl der Gefangennahme auslöst.

Auszug aus dem eBook:

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50