„Mit diesem revolutionären Gemälde gab Manet eindeutig das Signal zum Aufbruch in die moderne Kunst. Hierbei handelte es sich um das Bildnis einer jungen Frau auf einem Bett, mit nichts anderem bekleidet als mit Ohrringen, Arm- und Halsband, deren linke Hand wie zufällig die Scham bedeckt. Wieder einmal basierte diese Darstellung auf dem Werk eines alten Meisters – diesmal war es Tizians „Venus von Urbino“. Auch diesmal blickt die Frau ganz gelassen aus dem Bild heraus und zeigt keinerlei Anzeichen von Scham – ein Versuch des Künstlers, durch das unverhohlene und provozierende Versprechen sexueller Wonnen und Geheimnisse die Sinne und dadurch auch das Interesse des Betrachters zu wecken. Manet nannte dieses Bild „Olympia“, sozusagen als Hommage an dessen klassisches Vorbild.

Der Salon akzeptierte das Gemälde 1865, aber zum zweiten Mal erschütterte ein Werk von Manet die französische Gesellschaft. Es lag wohl auch an der Art, wie der weibliche Körper dargestellt wurde: ganz, natürlich und ohne Beschönigung. Dieses Bild war ein weiterer Schlag ins Gesicht der Kritiker, und viele fühlten sich von dem leichenartigen Aussehen des Körpers abgestoßen. Ein Kritiker fragte: „Wer ist diese Odaliske mit dem gelben Bauch, ein irgendwo aufgegabeltes heruntergekommenes Modell, das nun Olympia darstellen soll? Zweifellos eine Kurtisane.“

„Olympia“ zog sogar noch mehr Menschen an als „Das Frühstück“. Es war das einzige Bild, das die Leute sehen wollten. Sie drängten sich in riesigen Trauben darum und mussten sogar von zwei kräftigen Angestellten in ihre Schranken verwiesen werden.“

TIZIAN, Die Venus von Urbino, 1538
Leinwand, 119,5 × 165 cm Florenz, Galleria degli Uffizi

EDOUARD MANET, Olympia, 1863
Leinwand, 90 × 130,5 cm, Paris, Musée d’Orsay

Auszug aus dem eBook:

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

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