Henri de Toulouse-Lautrec, Jane Avril beim Tanzen

Henri de Toulouse-Lautrec, Jane Avril beim Tanzen,
um 1892, Öl auf Karton, 85,5 x 45 cm, Paris, Musée d´Orsay
Jane Avril (1868 -1923), die den Künstlernamen »La Mélinite« (die Explosive, nach dem Sprengstoff Melinit) trug und außer im Moulin Rouge auch im Jardin de Paris als Solotänzerin auftrat, war neben Louise Weber (»La Goulue«, die Gefräßige) und dem weiblichen Clown Cha-U-Kao eine der nachhaltigsten Inspirationsquellen Toulouse-Lautrecs in der Halbwelt von Paris. Ausdruck seiner Faszination sind Porträts in verschiedenen Situationen, so Jane Avril »La Mélinite« (1892), Jane Avril im »Divan Japonais~( (1892) und Jane Avril, Moulin Rouge verlassend, Jane als Tanzende und als Part der Staffage.

Das Porträt Jane Avril beim Tanzen verzichtet auf überflüssige Details; lediglich in der Loge im Hintergrund ist der von der Lithografie Der Engländer im Moulin Rouge (1892) bekannte Mr. Warner mit einer Dame zu erkennen. Der Unter- und Hintergrund der Tanzenden besteht aus einem Geflecht von fahrigen grünen, gelben und blauen Pinselstrichen, die durch ihre Anordnung der an sich starr eingefangenen Tanzpose dynamische Bewegung verleihen. Die in ihren Konturen betonte Figur hebt sich vor allem im bläulichweißen Musselinkleid stark von den hinterfangenden Farben ab.

Das Blauschwarz – weniger von Janes typischem Hut als von ihrem Unterrock, den Strümpfen und Schuhen – evoziert einen Eindruck des Verderbten, gerade auch in Korrespondenz mit dem Unschuld vorspiegelnden Weiß des Kleides. Ungeachtet der akrobatisch wirkenden Tanzhaltung scheint Janes Gesicht von einer teilnahmslosen Nonchalance, einer süffisanten Arroganz gegenüber der zuschauenden Männerwelt geprägt.

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50 

Paul Cezanne – Die Kartenspieler

Paul Cezanne Die Kartenspieler, 1890 bis 1895
Öl auf Leinwand, 47,5 x 57,0 cm
Paris, Musée d´Orsay

In der Zeit von 1890 bis 1895 hat Paul Cezanne das Motiv der Kartenspieler in fünf Fassungen gemalt.
Entgegen seiner sonst üblichen Arbeitsweise hat er hier eine feste Gesamtvorstellung weiterverfolgt und konzentriert. Die Fassung im Louvre ist die letzte dieses Themas und zeigt nur noch zwei von ursprünglich fünf Kartenspielern. Diese neue Konzentration des Motivs begründet aber gerade eine feierliche, fast monumentale Würde, die weit über das geläufige Genrethema (etwa bei Mathieu le Nain) hinausführt. In aufmerksamer, ja andächtiger Pose, sitzen sich die beiden Kartenspieler gegenüber. Ringsherum scheint die übrige Welt an Bedeutung verloren zu haben. Nur schemenhaft, wie ein Traumgebilde, erscheint die umgebende Landschaft in dem fest den Bildachsen eingefügten Fensterausschnitt. Alles ist konzentriert auf die (zu erwartenden) Bewegungen der Kartenspieler. Doch deutet nichts im Bild auf eine sich vollziehende Handlung, auf ein tatsächlich eintretendes Ereignis hin. Alles atmet die dem Alltagsgeschehen enthobene Stille und Ruhe, die Cezannes Spätwerk auszeichnet.

Diese ruhige Ausstrahlung des Bildes wird durch die stabile, fast achsensymmetrische Komposition verstärkt. Die leicht verschobene Bildachse wird durch die zwischen den Spielern stehende Flasche bezeichnet, die die gesamte Bildkomposition durch harmonisch austarierte Achsenzüge und den sich dazu öffnenden Winkel der Figuren ausbalanciert. In diesen ausgewogenen Bildraum hat Cezanne mit feiner Beobachtung die psychologischen Kontraste der Spieler eingebracht: das kühle Abwägen des beschatteten linken Mannes mit dem steil aufragenden Hut, das warme, offene Gesicht des stärker engagierten rechten Mannes mit dem weichen Hut und der aufgeklappten Krempe. Auch die Farbigkeit entspricht den angedeuteten psychologischen Kontrasten: Aus dem Grundkontrast Violett-Gelb entwickelt Cezanne eine ganze Skala feiner Abstufungen bis zum neutralen Grau, hinterfangen und gesteigert durch warme Braun-Rot-Töne. In dieser Bildserie scheint Cezanne das gespannte Verhältnis zu seinem Vater verarbeitet zu haben. Hass und Wut über die finanzielle Abhängigkeit sind einem entspannten Verständnis gewichen. Der selbstverständliche Ernst der Spieler soll auf die neu errungene Selbstständigkeit als Maler hinweisen.

 

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50 

Marc Chagal – Der Geiger

Marc Chagall, Der Geiger, 1912-13.
Öl auf Leinwand, 188 x 158 cm.
Amsterdam, Stedelijk Museum.

In Auseinandersetzung mit dem Kubismus, aber auch Robert Delaunays »orphischer Malerei« entstanden Chagalls sog. »klassische Bilder«, zwischen 1911 und 1914, zu denen auch das hier besprochene Bild „Der Geiger“ gehört. Mittelpunkt des Bildes ist ein Stehgeiger, wie er in Chagalls Heimat von Dorf zu Dorf zog und zu festlichen Anlässen aufspielte. Um ihn herum sind einzelne, unverbunden schwebende Teile einer schneebedeckten, dörflichen Landschaft zu sehen.

Häuser, eine Kirche, Figuren, Vögel in einem Baum. Die surreale, traumhafte Atmosphäre des Bildes wird verstärkt durch die fehlende Perspektive und den fehlenden Bezug des fast das ganze Bild ausfüllenden Geigers zu den übrigen Bildteilen. Hinzu kommt die unwirkliche Farbigkeit der Szene: das grüne Gesicht des Geigers, die gelbe Violine, der blaue Baum. Die in späteren Bildern deutlicher werdende kubistische Gliederung – wie auch die auf Delaunay verweisende Farbigkeit – ist hier noch kaum zu erkennen. Die heitere Naivität der Komposition und die traditionelle Thematik zeigen ganz deutlich jene Verwurzelung mit der russisch-jüdischen Tradition, die Chagall auch in späteren Bildern mit surrealen Traumszenerien nur scheinbar verloren hat.

August Macke – Seiltänzer

August Macke, 1887-1914
Seiltänzer, 1914
Öl auf Leinwand, 82 x 60 cm
Bonn, Städtische Kunstsammlungen (www.kunstmuseum-bonn.de)

Dem Bildthema „Balanceakt zwischen Himmel und Erde“ entspricht die Bildform mit ihren ausbalancierten Farbflächen.Zwischen den weich und rund konturierten Gestalten der Zuschauer und den kubisch-scharfkantigen Linien und Flächen, die den Balanceakt umgeben, besteht eine Spannung. Entscheidend für den Bildaufbau ist das vom Sachlich-Gegenständlichen her ganz unwichtige gelbe Dreieck in der linken Bildecke. Dieses Dreieck bietet – unserer Seegewohnheit entsprechend, nach der wir ein Bild von links nach rechts betrachten – den Eintritt ins Bild. Deckt man dieses Dreieck einmal ab und versucht, sich das Dreieck in einer Rottönung vorzustellen, so wird überraschend deutlich, dass dieses farblich gegenüber den Rot-, Blau- und Grünflächen, des übrigen Bildes zurücktretende kleine Dreieck kompositionell für das ganze Bild von ganz entscheidender Bedeutung ist. Denn auf diesem blassgelben kleinen Dreieck ist das ganze Bild gleichsam ausbalanciert.

Stil:
Wir schon die Gemälde des Jahres 1912 verdeutlichen – z.B.: Zoologischer Garten I, München, Städtische Galerie im Lehnbachhaus und:Großer Zoologischer Garten“,1913, Dortmund, Museum am Ostwall bildete sich zu diesem Zeitpunkt Mackes unverwechselbarer und von den Mitgliedern des Blauen Reiter unterschiedlicher Stil heraus: Für die Gestaltung von Eindrücken der „Sichtbaren Welt“ (Macke) verband er die reinen Farbtöne des Fauvismus mit dem kantig gebrochenen und mehrdimensionalen Konstruktionssystem des analytischen Kubismus. Beide Prinzipien konnten durch die futuristischen simultanen Bewegungsformeln dynamisiert werden.

Salvador Dali – Die Versuchung des hl. Antonius

Salvador Dali
Die Versuchung des hl. Antonius hl. Antonius, 1946.
Öl auf Leinwand,
90 x 120 cm. Brüssel, Musees
Royaux des Beaux-Arts.Dali,

Die Legende vom hl. Antonius in der Wüste, der von bösen Versuchungen gepeinigt wird, ihnen aber heroisch widersteht, hat eine Bildtradition, die bis ins 15. Jh. zurückreicht. Anders als für die religiösen Maler der anbrechenden Neuzeit, besaß für den Surrealisten Dali die Welt der Triebe ebenso faktische Bedeutung wie die von Verstand kontrollierte Alltagswirklichkeit – oder auch die Sphäre des Glaubens. Angeregt durch die Schriften Freuds und von der Lust am Experiment, motiviert von der Suche nach anderen, irrationalen Wahrheiten, versuchten die Surrealisten in die Symbolwelt des Unbewussten, der Triebe, des Rauschhaft-Dionysischen vorzudringen. Aus der ungehemmten Assoziationskraft Dalis brachen immer neue, phantastischere und monströsere Bildwelten hervor.

Dali gestaltete sie mit einer eiskalt beobachtenden, fotografisch genauen Technik, will sie so anscheinend verifizieren. Bevor er sich Anfang der fünfziger Jahre in Europa persönlich wie künstlerisch (und unter dem mystifizierten Einfluß seiner abgöttisch geliebten Frau Gala) dem Religiösen zuwandte, malte er 1946, noch in New York, dieses Bild der sexuellen Versuchung. Einer Fata Morgana gleich bewegt sich die Karawane mit den Elefanten und dem weißen Pferd aus der endlosen Wüste auf den Einsiedler zu. Abwehrend streckt Antonius ihnen sein Kruzifix entgegen, worauf sich das anführende weiße Roß, wie von einer tatsächlichen Kraft veranlaßt, aufbäumt.

Die Elefanten tragen ihm die unzweideutigen Zeichen der Versuchung zu: eine herausfordernde Frau mit nackten Brüsten, einen spitz aufragenden Obelisken – Symbol für den Phallus -, einen zweiten nackten Frauenoberkörper im offenen Portal einer kleinen Renaissancekirche. Die weltlichen Lüste, vor denen sich der Eremit in die Wüste zurückgezogen hatte, um seine Buße abzuleisten, bedrängen ihn hier visionär, dafür um so stärker. Scheinbar stellt Dali hier die Kraft des Glaubens noch unter das Diktat der sexuellen Triebe; doch sein Bild zieht in Wirklichkeit nur die Analogie zwischen Religion und Sexualität, offeriert keine Lösung.

Otto Dix – Meine Eltern

Otto Dix, Meine Eltern, 1924, Öl auf Leinwand, 118 x 130 cm,
Hannover, Sprengel Museum (www.sprengel-museum.de/)
Der in Berlin und Dresden tätige Otto Dix, der zu den besten Porträtisten seiner Epoche gehörte, malte dieses Bild „Meine Eltern“ 1921 bzw.1924 in zwei Fassungen. Aus Zuneigung und Mitgefühl beobachtet er das auf einem alten Sofa platzierte Ehepaar. Dem verspielten und modischen Dekor der Rückbank und der Tapete stehen die überaus naturalistische Ausführung und Detailgetreue der einfachen Kleidung und der klobigen, von der Arbeit gezeichneten Hände und der Gesichtszüge gegenüber. Besonders in diesem Werk ist der Verzicht auf jede expressive Geste, jede Idealisierung und Erhöhung deutlich.

Der Vater von Otto Dix war einfacher Fabrikarbeiter, insofern schildert der Künstler in seinem Doppelbildnis nicht allein die Eltern, sondern auch die Weisheit, Kraft und Geschundenheit des Proletariats.
Dix malte seine Modelle, wie er sie sah, und setzte sich dabei über alle ästhetischen Regeln hinweg. Er näherte sich seinen Sujets mit einem sezierenden Blick. Mit unbestechlichem Auge erfasste er die ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten und stellte sie mit einer übergroßen Deutlichkeit heraus. Die „Neue Sachlichkeit wurde bei ihm im Wortsinn zu einem „Magischen Realismus“.

Quellenangabe:
Bild und Bildbetrachtung sind ein Auszug aus dem Werk:
MODERNE MALEREI von Gottlieb Leinz.
Die digitale Neufassung ist 2018 bei Serges Medien, Solingen, erschienen.

Friedrich II. – Missbrauch eines Mythos – Richard von Weizäcker

7,50